Geschätzte Mitglieder des Österreichischen Stiftungsverbands,
die aktuelle öffentliche Debatte, die dem Stiftungswesen zum Teil Despektierliches und zum Teil Falsches hineininterpretiert, macht mich offen gestanden ratlos und ziemlich betroffen.
Wenn wir von Privatstiftungen sprechen, meinen wir im ÖStV die Chance für die Gesellschaft, Vermögen und insbesondere unternehmerisches Vermögen etwa von Familienunternehmungen langfristig in und für Österreich im Land zu behalten und zu bewirtschaften.
Ich möchte für Sie zur sachgerechten Orientierung anerkannte Umstände und Überlegungen sowie wichtige Kennzahlen zum Österreichischen Stiftungswesen in Erinnerung rufen und noch einmal hier festhalten.
- Unter der Regierung des sozialdemokratischen Bundeskanzlers Dr. Franz Vranitzky wurde die neue Rechtsform der Privatstiftung geschaffen. Es ging ihm und seinem Finanzminister Dr. Ferdinand Lacina darum, mit einem bedarfsgerechten Stiftungsrecht den Abfluss „stiftbaren“ Vermögens zu verhindern und zugleich einen Anreiz zu schaffen, auch ausländisches Vermögen in österreichische Stiftungen einzubringen. Unter anderem sollte die politische Stabilität – vier Jahre nach dem Fall des Eisernen Vorhangs und unmittelbar vor dem Beitritt zur Europäischen Gemeinschaft – das günstige Umfeld für das Gelingen des Vorhabens sein.
- Bisher wurden rund 4.000 Stiftungen gegründet. Ende 2011 ist der höchste Stand mit 3.313 im Firmenbuch eingetragen Privatstiftungen zu verzeichnen; seither gibt es mehr Löschungen als Neueintragungen. Mitte des Jahres 2022 waren noch 3.023 aufrechte Privatstiftungen im Firmenbuch eingetragen, mit Stand 05.04.2023 sind es 2.978 PS. Ein sprechender Vergleich: Nach dem Aktiengesetz bestehen derzeit circa 1.100 Aktiengesellschaften.
- Zwei Drittel des Vermögens von Privatstiftungen bestehen aus Unternehmensbeteiligungen aller Branchen, die für die österreichische Volkswirtschaft wichtig sind, weil sie über rund 4.000 operative Unternehmen circa 350.000 Beschäftigte halten, also (ohne Beamte) 10 % der Erwerbstätigen in Österreich. Privatstiftungen sind ein wesentlicher Faktor, um Unternehmensbeteiligungen, Innovationskraft und Arbeitsplätze im Land zu halten und zu sichern. Besonders in der Finanzkrise 2008 und in der Coronapandemie zeigte sich, wie heimische Unternehmen durch ihre Unternehmensträgerstiftung vor dem Zugriff chinesischer Investoren oder amerikanischer Hedgefonds geschützt und für Österreich erhalten wurden. Und auch in Zeiten des Fachkräftemangels, der aktuellen Energiekrise und den Herausforderungen aus dem Ukrainekrieg sind es wieder diese (Familien-)Unternehmen, die keine volatilen Manöver unternehmen, sondern mit Ruhe und Standfestigkeit die notwendige Energiewende schaffen, beliebte Investoren in Start-ups sind und nachhaltigen Fortschritt bewerkstelligen.
- Die 1993 mitbeschlossenen Steuervorteile für Privatstiftungen wurden über die Jahre (bis 2010) schrittweise zurückgenommen, sodass seither faktisch keinerlei Sonderstellungen für Privatstiftungen gegeben sind, mit Ausnahme einer Sonderregelung für stille Reserven im Fall von Reinvestitionen. Endbesteuerte Ausschüttungen an Begünstigte sind in keiner Weise steuerlich bevorteilt. Sie sind einer Dividende einer Kapitalgesellschaft vollkommen gleichgestellt.
- Die Transparenzstandards zum unternehmerischen Vermögen sind durch die Veröffentlichungen zu den Beteiligungsunternehmen im Firmenbuch und im Wirtschaftlichen Eigentümerregister (WiEReG) umfassend erfüllt. Auch die Immobilien einer Privatstiftung (circa 25 % vom verstifteten Vermögen) sind im Grundbuch abfragbar. Nicht öffentlich sind – wie bei anderen Personen auch – private Vermögensgegenstände, wie etwa Wertpapiere und Kunstwerke. Auch die zumeist in der Stiftungszusatzurkunde vorgesehenen Nachfolgeregelungen sind – gleich wie Testamente – nicht öffentlich zugänglich. Diese kennt aber das Finanzamt. Die Transparenz österreichischer Stiftungen ist also sehr hoch.
- Vielfalt gibt es auch im Stiftungswesen:
- Circa 200 Privatstiftungen verfolgen einen gemeinnützigen Zweck.
- Viele Mitarbeiterstiftungen haben die Schlüsselrolle des österreichischen Kernaktionärs über Beteiligungen am Grundkapital privat geführter Unternehmen übernommen.
- Stiftungen verfolgen aber auch gänzlich andere Zwecke, wie bspw die Österreichische Gewerkschaftliche Solidarität Privatstiftung, die der Förderung der gewerkschaftlichen Arbeit und des ÖGB verschrieben ist oder etwa die Maria Lassnig Privatstiftung, die das künstlerische Werk und Ansehen der bedeutenden Malerin verwalten soll.
- Das derzeitige Privatstiftungsgesetz hat eine Reihe von Mängeln im Hinblick auf die tatsächliche Ausübung der wirtschaftlichen Eigentümer- und Einflussrechte und -pflichten, insbesondere für die Zeit nach dem Ableben des Stifters. Das kann zu sehr schwierigen Situationen für die betroffenen Unternehmen führen, die bis zu feindlichen Übernahmen reichen können. Ein weiteres Thema ist die Vermeidung der Verkrustung und Versteinerung der Privatstiftung. Seit dem Jahr 2021 arbeitet der Österreichische Stiftungsverband an der Erstellung praxisnaher, wissenschaftlich geprüfter Reformvorschläge für eine starke Stiftungslandschaft in Österreich. Er hat 2022 einen moderaten Reformvorschlag unterbreitet, der keine steuerrechtlichen Themen anspricht. Dieser Reformvorschlag wurde bisweilen überall mit Interesse zur Kenntnis genommen.
Das Rechtsinstitut Privatstiftung, das mit der Dynamik der Wirtschaft mithalten muss, braucht zweifelsohne Flexibilität und Anpassungsfähigkeit. Eine Reform der rechtlichen Rahmenbedingungen ist nicht ungewöhnlich – das Aktiengesetz wird seit 25 Jahren praktisch alle zwei Jahre reformiert.
Der öffentliche Diskurs von unserer Seite muss weiter geführt werden, um die dringende Notwendigkeit gesetzlicher Korrekturen im bereits 30 Jahre alten PSG verständlich zu machen.
Ich wünsche Ihnen Frohe Ostern.
Mit besten Grüßen,
Cattina Leitner